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© 2024 Cem Kavaklıoğlu

02.03.2025 · Sinan Güngör

 Interview & Edit von Hasan Gündogan

Über 40 Jahre hinweg hat Sinan Güngör als Trickfilmmacher unter anderem die ikonischen Zeichentrickfiguren „Lars, der Eisbär“ und die Maus der „Sendung mit der Maus“ gezeichnet. Wir haben uns über seine Ankunft in Dortmund in den 70ern und seinen Aufstieg als Produktionsleiter von Rothkirch Cartoons in Kreuzberg unterhalten, während wir zusammen in einen kleinen Teil seines privaten Archivs blicken durften.

Wir sitzen in einem Cafe bei der S-Bahn Station Wedding - Sinan Güngör hat eine große Umhängetasche mit Bildern und Transparenten aus seinem privaten Archiv dabei. Wir blättern gemeinsam durch Zeitungsartikel aus den 80ern und 90ern, sehen Original Folien Transparente aus Produktionen von Lars, dem Eisbären, eine Emmy Nomination und zahlreiche Bewegungsabfolgen von der legendären orangen Maus - alles händisch angefertigt von Sinan Güngör in jahrzehntelanger Arbeit.

Hasan Gündogan: Herr Güngör, wir freuen uns sehr darüber, Sie auf diesem Wege treffen zu können. Ein paar sehr lustige Zufälle haben uns zum Glück zueinander geführt.

Der Vater unseres engen Kollaborateurs und Fotografen Cem Kavaklıoğlu wohnt ihm Ruhrpott und kennt Ihre Schwester. Er hat sich direkt erkundigt, um uns in Kontakt zu setzen. Cem und ich hatten zuvor bereits als Teil unseres “Gaze” Archivs einiges an Recherche zu Ihrer Arbeit und Ihrem Werdegang geleistet und waren stark beeindruckt davon. Ihr Werk hat die Kindheit vieler in Deutschland aufgewachsener Menschen – uns eingeschlossen – geprägt.

Wir werden natürlich darüber sprechen, wie Ihre bekanntesten Zeichentrickfiguren wie Lars, der Eisbär, oder die legendäre Maus entstanden sind. Zuvor würde uns aber interessieren, ob es stimmt, dass Sie 1973 als Chemieingenieur aus der Türkei nach Dortmund kamen, um eigentlich Chemietechniker zu werden. Wie hat sich Ihr Weg vom Chemiestudium zum Zeichnen entwickelt?

 

Sinan Güngör: Ja, das stimmt, ich bin tatsächlich eigentlich gelernter Chemiker und soweit ich mich erinnere, war ich etwa 26, als ich in Dortmund ankam - heute bin ich ja schon stolze 74. Ich habe Chemie im Master studiert und hatte zuvor mein Diplom in Istanbul gemacht, aber während meines Studiums habe ich schon regelmäßig Karikaturen gezeichnet, auch schon in der Türkei. Das war nicht professionell, sondern ein Hobby, das ich ab und zu betrieb.

Es gab aber zu Beginn in Istanbul auch einige kleinere Zeitschriften, die meine Karikaturen damals veröffentlicht haben - vielleicht einmal im Monat oder alle zwei bis drei Wochen. Das hatte aber mit Animationen oder Trickfilmen noch gar nichts zu tun und ich nahm das nicht so stark ernst. Ich erinnere mich jedenfalls, dass ich einmal einen Flyer für eine Party an der Universität gesehen habe, zu der ich aber nicht gehen konnte. Durch diese Party erfuhr ich aber von der Design- und Illustrationsklasse an der Fachhochschule Dortmund, was mein Interesse an einer vertieften Auseinandersetzung mit Grafik und Illustration weckte. Also beschloss ich, mich mal zu erkundigen, wie das denn so abläuft.

Im Sekretariat wurde mir gesagt, dass Graf Rothkirch für diesen Bereich zuständig sei.

HG: Dort haben Sie den Grafen dann kennengelernt? Herr Rothkirch von Rothkirch Cartoons, richtig?

SG: Ja, der Graf Rothkirch, den ich damals kennengelernt habe, ist wirklich eine bekannte Persönlichkeit im Bereich des Zeichentricks. Wenn man sich mit Cartoons oder deutschem Zeichentrick beschäftigt, kommt sein Name immer wieder auf. Besonders bei den „Spatz“-Preisverleihungen, die für die besten Arbeiten im Bereich Zeichentrick vergeben werden. Für “Lars, der kleine Eisbär”, den ich gezeichnet habe, hatte ich diese Verleihung dann später auch erhalten. Vor kurzem, kurz vor der Pandemie, haben sie mich sogar wieder kontaktiert und gefragt, ob ich einen Film einreiche. Früher war ich bei solchen Veranstaltungen häufiger dabei, aber mittlerweile ist das eher selten geworden. Ab und zu bekomme ich noch Einladungen, besonders während der Berlinale, wenn solche Treffen stattfinden. Aber das ist nicht mehr so intensiv wie früher. Was den Grafen betrifft, so war er in Bonn ansässig, arbeitete aber für die Fachhochschule Dortmund. Er war jedoch nicht ständig vor Ort, sondern nur hin und wieder, da er viel mit Film und Fotografie Produktionen zu tun hatte. Ich selbst hatte dann zum Glück die Gelegenheit, ihn kennenzulernen - als ich meine Zeichnungen zeigen durfte meinte er, dass ich großes Talent habe, und fragte mich, warum ich nicht in die Filmbranche gehen würde, speziell in den Bereich der Trickfilme, obwohl ich ja eigentlich Chemie studiert habe.

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HG: Aber wie lief das genau ab? Ihre Eltern waren ja wahrscheinlich - oder zumindest Ihre Familie war ja in Mersin zum größten Teil, und Sie sind dann über Istanbul nach Dortmund gekommen, um das Chemie Studium zu beenden. Wie kam es in Ihrer Familie oder bei Ihren Eltern an, als Sie meinten, ich mache jetzt Trickfilme - war das ein Problem?

 

SG: Überhaupt nicht. Meine Eltern waren da wirklich so toll. Meine Mutter hatte mir nie gesagt: “Mensch, du hast doch Chemie studiert und bist im Master, warum machst du jetzt Film oder Trickfilm?” Gar nicht. Das war gar kein Thema. Ich weiß nicht, ob das gut war, aber ich habe die Filmmacherei geliebt, sie haben das auch so akzeptiert und mich immer unterstützt. Auch bei meinen Geschwistern, jeder hatte so seine eigene Richtung. Letztendlich habe ich gesagt, ja okay, das versuche ich - Du hast ein Diplom, du hast das auch fertig gemacht, versuch es einfach. Wenn das eine nicht klappt, machst du das andere.

> Wir sind vor der Wende nach Berlin gekommen, die Mauer stand noch und Kreuzberg oder der heute so schöne Bergmannkiez sah in den 80ern noch anders aus. Im Hinterhof einer verlassenen Industriefläche begann dann unsere Arbeit. Über 20 Jahre lang zeichnete ich von dort aus die Maus und die dazugehörigen Spots. <

HG: Was ich sehr interessant finde ist, dass Ihr altes Studio mitten im Bergmannkiez lag - heute wird es ja anscheinend als Fitness-Studio und für Tech Offices verwendet. Aber wie war der Beginn Ihrer Arbeit im Studio dann in Berlin nachdem Sie aus NRW hergezogen sind?

SG: Wir sind vor der Wende nach Berlin gekommen, die Mauer stand noch und Kreuzberg oder der heute so schöne Bergmannkiez sah in den 80ern noch anders aus. Naja, wir fingen dort in einer verlassenen Industriefläche im dritten Stock eines Gebäudes im Hinterhof an - du musst dir das mal vorstellen, das war riesig und zu Beginn hatten wir nur ein paar Tische in einer so großen Fläche. Das war aber natürlich für die Jahre danach optimal, weil wir sehr schnell gewachsen sind und diesen Raum auch wirklich in Gänze gebraucht haben. Ich habe also zusammen mit Thilo Rothkirch das Studio aufgebaut und während er eher die Geschichten geschrieben hat, habe ich die Produktionen angeleitet und den technischen Part bei der Umsetzung übernommen. Thilo war ein sehr guter Künstler, aber kein typischer Animator. So konnte er sich aber um die Anschaffung von Aufträgen kümmern und wir wurden immer größer, bis wir schließlich so gut wie permanent mit dem WDR zusammenarbeiten konnten. Irgendwann mussten wir, um ehrlich zu sein, nicht mal mehr nach Aufträgen suchen, weil ständig was Neues bevorstand.

 

HG: Wie groß war dann eigentlich die Produktion über die Jahre hinweg - vor allem in noch so analogen Zeiten, in denen alles noch per Hand auf Folien gezeichnet wurde?

SG: Am Anfang, wie gesagt, waren es nur Thilo Rothkirch und ich, und wir beide haben viele kleine Aufträge für das ZDF gemacht. Verschiedene Geschichten, kleine Projekte. Und dann, als wir mit dem WDR und der ARD angefangen hatten, wuchs es immer weiter. Anfangs waren wir dabei vielleicht so um die 10 Leute, irgendwann sind wir auf über 100 Mitarbeiter angewachsen. Ich war Chefzeichner und habe gleichzeitig die ganze Produktion geleitet. Viele von uns waren auch nicht unbedingt fest angestellt im Studio, sondern eher als freie Mitarbeiter zu gewissen Projekten tätig. Es entstand so aber wirklich ein toller Raum von klugen Köpfen, wobei jeder vom anderen profitieren und lernen konnte. Ich hatte auch meine eigene Produktion und konnte sehr selbstständig an meinen Projekten arbeiten. Im Endeffekt haben wir fast 30 Jahre lang im Bergmannkiez zusammengearbeitet. Das ging natürlich dann auch mit Preisverleihungen und zufriedenen Kunden einher, mit denen wir zusammengearbeitet haben.

HG: Auch der von Ihnen zu Beginn genannte “Goldene Spatz”?

SG: Genau, das war damals für den Film, Lars der kleine Eisbär, bei dem ich die Animationsleitung übernahm. Das war dann in den 90er Jahren, glaube ich.

Mit der Emmy Nomination 2003 in den USA, kam dann natürlich auch große internationale Anerkennung.

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Auszüge aus Sinan Güngörs Archiv: Eine Emmy Nomination, Original Folien von Lars, der Eisbär und ein Sonderauftrag über Ludwig Erhard

> Im Laufe der Zeit wurde die Maus immer weiterentwickelt, nach etwa sieben Jahren kam der Elefant dazu und fünf Jahre später gesellte sich noch die Ente zu den Charakteren, die mittlerweile in jeder Episode zu sehen sind. <

  

HG: Ist das wirklich so wie in dem Video, das wir vorhin gesehen haben, dass jede Abfolge händisch gezeichnet, koloriert und danach gemacht wurde?

 

SG: Die ersten Sachen wurden tatsächlich so gemacht. Ich habe alles gezeichnet und eingescannt, und dann mit dem Computer weiterbearbeitet. Aber damals, als es noch keine Computer-Software dafür gab, wie zum Beispiel bei Lars, der kleine Eisbär, haben wir alles auf Folien gezeichnet. Ich habe euch auch solche Folien mitgebracht - diese wurden koloriert, schattiert und dann mit einer Trickkamera aufgenommen. Heute benutzt man diese gar nicht mehr.

Heutzutage mache ich die Aufnahmen allerdings direkt am Computer. Ich liefere alles, was der Sender braucht – der ganze Fahrplan, das Tempo, das Timing und die Farbprofile, die nötig sind. Aber es bleibt dennoch ein sehr, sehr großer Aufwand, das alles so zu erstellen. Der spätere Erfolg der Maus basiert auf eben dieser analogen Zeit, in der wir alles sehr genau, penibel und mit viel Mühe erstellen mussten.

HG: Ging mit dem Erfolg von Lars dann auch die Übernahme von der Maus einher?

SG: Also zuerst begann es nicht direkt mit der Maus, sondern alles fing bereits in den 70ern mit einem Programm namens Sach- und Lach-Geschichten an. In dieser Sendung gab es anfangs weder einen Elefanten noch eine Maus.

Irgendwann hat die damalige Produktion ein Buch von Frau Menzel verfilmt, das von einer orangefarbenen Maus handelte – ganz anders, als wir die Maus später kennen sollten. Die erste Ausstrahlung dieses Programms fand sehr viel Anklang bei den Kindern und wurde so weitergeführt.

Die Zuschauer forderten nach mehr und gaben positive Rückmeldungen.

Schließlich entstand der Name der Sendung mit der Maus, obwohl es anfangs einige Diskussionen gab, ob das der richtige Name war.

Damals übernahm der Schweizer Animator Friedrich Streich die Aufgabe, die erste Maus zu animieren. Diese ursprüngliche Maus hatte ein anderes Aussehen, und der Stil änderte sich über die Jahre hinweg.

Im Laufe der Zeit wurde die Maus immer weiterentwickelt, und nach etwa sieben Jahren kam der Elefant dazu.

Fünf Jahre später gesellte sich noch die Ente zu den Charakteren, die mittlerweile in jeder Episode zu sehen sind. Der Elefant und die Ente wurden dabei feste Begleiter der Maus und bildeten die wichtigsten Figuren.

Doch während all dieser Entwicklungen blieb Frau Menzel die Inhaberin der Rechte an der Maus. Irgendwann entschloss sich der ursprüngliche Animator jedoch, die Maus nicht weiter zu zeichnen. Es gab also kurz gesagt rechtliche Streitigkeiten aufgrund der Rechte an der Maus.

HG: Und dann kamen Sie und Rothkirch Cartoons in Frage?

SG: Zu dem Zeitpunkt hatte ich eine andere Serie gemacht, die sehr bekannt war beim Sender - "Otto, der Straßenhund", falls dir das etwas sagt. Da kam der Chef zu mir und hat gesagt: „Sinan, du kennst die Figuren alle so gut, die machst du toll. Und auch die Philosophie unserer Sendung kennst du so gut, du machst das!.“

HG: Das war nach Lars, oder?

SG: Genau, genau. Also, das lief fast parallel, aber angefangen habe ich sozusagen nach Lars. Da haben wir immer wieder Gespräche geführt. Das Ganze begann dann so allmählich, bis ich die Maus permanent gezeichnet habe.

HG: Wie war Ihre erste Reaktion, als man Ihnen quasi die Maus anvertraut hat?

SG: Ich habe mich natürlich riesig gefreut, aber man muss auch dazu sagen, dass dann die Essenz darin lag, dass der Zuschauer den Unterschied gar nicht bemerken sollte. Ich merke sofort, wer welche Figur gezeichnet hat, aber für die Zuschauer ist das egal. Mir fällt gerade ein, einmal gab es eine lustige Geschichte dazu: Stefan Raab hat ja die legendäre Maus-Musik gemacht. Aus verschiedenen meiner Filme hat er Ausschnitte genommen, ohne dass ich davon wusste und daraus eine Collage erstellt – mit verschiedenen Maus-Szenen, Eisbär-Szenen und so weiter. Irgendwann war ich in einer Redaktionssitzung, da kam der Chef und wir unterhielten uns. „Sinan, ich habe gehört, du hast eine Maus gezeichnet, die eine Pistole in der Hand hat.“ Ich war schockiert und fragte: „Was? Wie kommst du darauf?“ Unser Chef meinte: „Ja, der Stefan Raab hat das gesagt“. Ich entgegnete: „Nein, es gibt keinen solchen Spot oder eine Zeichnung.“ Ganz am Anfang gab es tatsächlich so eine Szene, die nie veröffentlicht wurde und auch gar nicht von mir stammte. Wahrscheinlich hat Stefan die bei seinen Schnitten gesehen. Aber das war ein Missverständnis und sorgte für viele Lacher.

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HG: ​Ich kenne das Video noch von Stefan Raab bei TV Total, als er den Song vor einem damals sehr berühmten Rapper gespielt hatte. Busta Rhymes, wenn Ihnen das was sagt - Stefan Raab hatte den Song vor ihm mit der Ukulele gespielt und das Video sieht man bis heute noch auf Social Media Plattformen.

 

SG: Ja, das war wundervoll - um ehrlich zu sein, wusste ich damals aber gar nicht, wie berühmt Stefan Raab ist. Ich erinnere mich noch an den großen 25. Geburtstag der Maus. Da standen über 50.000 Menschen in Köln. Alles war voll: die ganze Stadt, der Domplatz, überall Menschenmassen. Ich war auf der Bühne und musste live zeichnen und Interviews geben. Hinter der Bühne habe ich viele bekannte Persönlichkeiten getroffen – alle grüßten natürlich Stefan Raab. Mädchen hielten Plakate hoch: „Stefan, wir lieben dich!“ und da fragte ich: „Wer ist denn dieser Stefan?“. Man sagte mir: „Stefan Raab – der hat das Lied gemacht.“ Das war eine unglaubliche Feier. Es gab als Teil der Kampagne sogar einen Maus-Zug durch ganz Deutschland. Vielleicht habt ihr davon gehört?

Der ganze Zug war mit Maus-Motiven dekoriert und innen wie ein Museum auf Schienen. Die Kinder konnten dort zeichnen und die Figuren erleben. Der Zug fuhr durch Deutschland, und ich war als Künstler dabei – nicht direkt im Zug, sondern ich bin immer an die Endstationen gefahren, um Autogramme zu geben.

HG: ​Haha, ich glaub da hat Cem sogar als Kind eine Zeichnung mit Autogramm von Ihnen erhalten!

 

SG: In Berlin war es besonders lustig. Meine Kinder, die damals noch klein waren, wussten nicht, dass ihr Papa zuhause die Maus und Lars zeichnet. Für sie war das normal: „Jeder Papa zeichnet zu Hause solche Sachen, und dann wird das gezeigt.“ Sie haben daraus nie ein großes Ding gemacht.

HG: ​Waren Ihre Kinder auch beim Zug dabei - oder waren sie da noch zu klein?

SG: Ja! Tatsächlich konnte ich meine Tochter damals zum Ostbahnhof mitnehmen, als der Zug dort einen Halt gemacht hatte. Sie wussten gar nicht, was sie dort erwartet. Alles war voll mit Menschen. Wir gingen zu den Leuten, direkt dorthin, wo der Tisch für die Autogramme und meine Zeichnungen stand. Meine Tochter hat das alles sehr verwundert beobachtet. Sie sah die langen Reihen von Menschen, die warteten, und dann sah sie, wie ihr Papa Autogramme schrieb. Sie sagte kein Wort. Als wir aber nach Hause kamen, ging sie sofort zu ihrer Mama und schrie: „Mama, Papa ist berühmt!“ Natürlich haben sie das allen sofort weitererzählt. Meine Kinder kamen dann immer zu mir mit Blättern und meinten: „Papa, Papa, unterschreib das bitte für uns!

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Nach 20 Jahren vereint - Sinan Güngörs Zeichnung für den damals jungen Cem 

HG: ​Im Internet sind sehr viele der Dokumente, die Sie uns heute aus Ihrem Archiv zeigen, leider sehr schwer zu finden. Man sieht Ihren Namen immer wieder im Abspann von großen Produktionen und noch einige Beiträge in den Mediatheken der ARD. Wie lange haben Sie eigentlich die Maus schlussendlich insgesamt gezeichnet, wenn Sie Anfang der 90er begonnen haben?

SG: Vor etwa zehn Jahren - also nicht mal vor zehn Jahren - vor der Pandemie, haben wir mit den Produktionen aufgehört. Ich habe natürlich fast über 30 Jahre lang freiberuflich für den WDR gearbeitet, aber die Produktion der Maus mit meiner Unterschrift ging wohl in etwa 20 Jahre.  Aber das war nicht alles – ich habe auch eigene Figuren und Serien produziert, sowie andere Maus-bezogene Projekte durchgeführt, zum Beispiel wie eben für den Geburtstag der Maus. Normalerweise habe ich die Maus Geschichten selbst geschrieben, gezeichnet und produziert. Natürlich musste alles von der Redaktion final abgesegnet werden, aber im Großen und Ganzen war ich selbst dafür verantwortlich. Das Einzige, was ich nicht gemacht habe, war die Musik. Dafür hatte ich eine Stunde mit Musikern, um das zu arrangieren. Manchmal gab man mir Geschichten oder Themen vor, das ging dann in die Redaktion, und sie haben es entweder direkt abgeändert oder andere Vorschläge gemacht. Jeder Schritt musste abgesprochen werden.

HG: ​Wo steht Rothkirch Cartoons heute - das alte Studio wurde ja heute leider umgenutzt?

 

SG: Die meisten sind samt Produktion nach China und Indien gegangen. Deswegen glaube ich, dass die Cartoon-Filme in Deutschland auch davon betroffen sind. Wir haben ja ein paar sehr erfolgreiche Spielfilme gemacht wie  Lauras Stern oder Lars, der kleine Eisbär. Für diese Spielfilme musste man jedoch Hunderte von Leuten beschäftigen. Die Arbeit wurde in Länder wie Bulgarien, China oder eben Indien ausgelagert. 

Heutzutage wird vieles kommerzieller und es gibt sehr viele neue Programme, mit denen man schnell und günstig produzieren kann. Während man hier noch an den Korrekturen einer Episode sitzt, haben Produktionen in China schon sieben Folgen fertig - so schnell sind die mittlerweile. Ich denke aber darunter leidet oft die Qualität der Trickfilme und die Essenz in den Geschichten.

HG: ​Womit beschäftigen Sie sich heutzutage? Sie haben ja immerhin fast 40 Jahre lang in dieser Branche gearbeitet und das deutsche Fernsehen mitgeformt?

 

SG: Ich arbeite viel mit Jugendlichen in Kreuzberg und Schöneberg oder gebe Workshops. Außerdem bin ich oft bei Filmfestivals dabei und engagiere mich ehrenamtlich sehr viel. Allerdings bin ich nicht mehr direkt im Geschäft tätig, sondern mache kleinere Sachen. Manchmal arbeite ich mit verschiedenen Künstlern zusammen. Zum Beispiel mit Künstlerinnen, die sich auf Gemälde spezialisiert haben. Diese Frauen sind in der Kunstszene bekannt, besonders für ihre Malerei. Wenn sie Ausstellungen machen, arbeite ich mit ihnen zusammen. Ich nehme ihre Figuren und Gemälde, animiere sie, integriere ihren Stil und ihre Farben in die Animation. Ein Beispiel: Da gibt es ein Gemälde mit einem Pferd, und ich bringe es in Bewegung. Aus dem Gemälde entsteht ein kleiner Film. Der Wind weht, und alles wird lebendig.

Vorgestern rief eine Künstlerin an, mit der ich für einen Film gearbeitet hatte. Sie erzählte, dass wir eine Ausstellung in Dresden hatten, wo wir die Gemälde und den dazugehörigen Film gezeigt haben. Es kam bei den Besuchern sehr gut an. Solche Projekte sind anspruchsvoll und kostenintensiv. Viele Künstler können sich das nicht leisten. Aber ich mache es als Geschenk, da ich diese Menschen kenne und ihre Arbeit schätze.

Ein spezieller Dank geht an Ayşen Güngör und Atilla Kavaklıoğlu - Cem´s Vater, der uns nach unserer Recherche Arbeit tatkräftig unterstützt hat und uns letztendlich mit Sinan Güngör in Kontakt bringen konnte.

Cem KavaklıoğluMein Vater Atilla gab Ende der 90er Jahre Integrations- bzw. Deutschkurse, und eine seiner Teilnehmerinnen war Ayşen Güngör. Da ich als Kleinkind keine Betreuung oder keinen Kindergartenplatz hatte, nahm mein Vater mich gelegentlich mit zum Unterricht. So lernte mich Ayşen im Alter von etwa zwei bis drei Jahren kennen.

Während des Kurses kritzelte ich oft in ihr Heft, und sie scherzte, dass sie hoffte, ich würde eines Tages ein berühmter Zeichner werden – damit sie mit meinen Werken reich werden könnte. Eines Tages brachte sie mir als Geschenk eine Zeichnung mit, die ihr Bruder angefertigt hatte.

Breaux IG
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