


11.12.2025 · Shirin Esione
Berlin, Germany
Shirin Esione ist eine deutsch-nigerianische Fotografin aus Berlin. Sie interessiert sich für Menschen in ihren eigenen Räumen, für Momente, in denen sie unverstellt sie selbst sind, und dafür, wie Identität ihre Umgebung prägt. Nach ihrem Abschluss 2022 am Lette Verein Berlin arbeitet sie heute an der Schnittstelle von Porträt, Dokumentation und sozialer Realität. Wir haben sie bei ihrer Debüt Ausstellung "not yet" im Lobe Block in Berlin besucht und über ihre Kunst gesprochen.
Wie hast du mit Fotografie begonnen?
Shirin Esione: Ich habe eigentlich schon ziemlich früh mit der Fotografie angefangen. Mit so etwa 11 oder 12, glaube ich und mit 13 hatte ich meine erste kleine Spiegelreflexkamera, bis ich dann später die analoge Point and Shoot Kamera von meiner Mama benutzt hatte. Am Anfang habe ich die analogen Prints dann überall in meinem Zimmer aufgehängt bis dann irgendwann Instagram ankam und ich das Posten begonnen habe. Die meisten Leute wollten damals wissen, was für ein analoger Filter das auf meinen Fotos ist - das war etwas vor der New Wave an analogen Fotos und man kannte sonst eher den digitalen Look von Bildern. Später habe ich dann sehr viel im St.Georg fotografiert - einem Club, wo damals einfach viele meiner Freunde waren und wir uns jeden Freitag dort getroffen haben. Das war damals eine sehr schöne und prägende Zeit vor Allem als Clubfotografin und ich denke seitdem habe ich eigentlich nie mehr aufgehört Fotos zu machen.
Viele junge Kulturschaffende / Künstler*innen müssen oft neben ihrer künstlerischen Tätigkeit in Corporate Jobs und ganz verschiedenen Feldern arbeiten, um den Lebensunterhalt usw. Aufrecht zu halten. Wie gehst du mit diesem Struggle um, wenn es für dich einen darstellt und welchen Wert hat dabei dann deine Zeit, die du für deine Kunst bzw. deine Fotografie hast?
SE: Ich habe bis Juli noch Teilzeit neben der Fotografie gearbeitet. Ich bin super happy, endlich den Sprung gemacht zu haben und mich jetzt zu 100 % auf Fotografie zu konzentrieren, aber natürlich bleibt im Hinterkopf immer die Sorge, dass der nächste Job nicht garantiert ist.
Diesen Sommer hatte ich zum Beispiel einen Monat lang nur ein einziges Booking. Ich habe in der Zeit nur gegammelt und mich gleichzeitig schlecht gefühlt, weil ich nichts „Produktives“ geschafft habe und so viel Zeit „verschwendet“ habe. Dabei glaube ich eigentlich nicht, dass Chillen und Nicht-Kreieren automatisch Zeitverschwendung sind, aber der Kapitalismus sitzt einem leider immer im Nacken und redet ein schlechtes Gewissen ein, sobald man nichts produziert.
Danach lief es jobtechnisch wieder gut, und ich habe mir vorgenommen, meine nächste freie Zeit besser zu nutzen. So kam es dann auch zur Entscheidung, meine Ausstellung zu machen. Im Oktober hatte ich wieder eine ruhigere Phase, aber dafür die Zeit, mich auf meine eigene Arbeit zu konzentrieren. I guess that’s what freelance life is about.
"Wenn man in Verhältnissen aufwächst, in denen die meisten Menschen im eigenen Umfeld, wie zum Beispiel in der Schule,
„mehr“ haben als man selbst, prägt das den Gerechtigkeitssinn. Man fängt früh an zu hinterfragen, warum es solche großen Unterschiede zwischen Lebensstandards gibt. So ging es mir jedenfalls, seit ich denken kann."


Photos from "not yet" by Shirin Esione
Was macht dir dabei am meisten Spaß?
SE: Am meisten Spaß machen mir tatsächlich die intimen Momente mit Menschen. Wenn ich bei Leuten zuhause fotografiere, ist es meistens, als würde man einfach mit Freunden abhängen und dabei Fotos machen. Man redet über’s Leben, über aktuelle Struggles, und kommt sich näher. Auf jeden Fall noch ein paar Ebenen tiefer, als wenn man sich draußen, auf der Arbeit oder im Club begegnet.
Und natürlich liebe ich den Moment, wenn ich meine Negative zurückbekomme, immer wie Weihnachten!
Aus welchem Stadtteil von Berlin kommst du und würdest du sagen, dass dieser Ort oder Berlin generell einen wichtigen Einfluss auf deine Arbeit oder deine POV haben?
SE: Ich bin in Moabit aufgewachsen. Da es eine Gegend der unteren Arbeiterklasse ist (bzw. war), zu der ich selbst gehöre, und einen großen Anteil migrantischer Bewohner*innen hat, war das immer meine Lebensrealität. Wenn man in Verhältnissen aufwächst, in denen die meisten Menschen im eigenen Umfeld, wie zum Beispiel in der Schule, „mehr“ haben als man selbst, prägt das den Gerechtigkeitssinn. Man fängt früh an zu hinterfragen, warum es solche großen Unterschiede zwischen Lebensstandards gibt. So ging es mir jedenfalls, seit ich denken kann.
Vielleicht fühle ich mich deshalb so stark zu „Authentizität“ und echten Geschichten hingezogen. Ich finde es einfach sehr interessant zu sehen, wie unterschiedlich Menschen leben, und ich finde, jede*r verdient es, sichtbar gemacht zu werden. Wie man lebt, erzählt schließlich extrem viel über Herkunft, Klasse, Bildung, etc. Und ich liebe es, das auf die mundanste Art einzufangen.
In einem Post auf Instagram hattest du vor Kurzem sowas wie “der Kontext ist manchmal wichtiger als das Bild selbst” geschrieben. Könntest du beschreiben, was du damit meinst?
SE: Mit „der Kontext ist manchmal wichtiger als das Bild selbst“ meine ich, dass viele bedeutende, historische wie auch private Fotos ihre eigentliche Kraft oft erst mit der Zeit entwickeln. Ich habe es schon immer geliebt, mir alte Fotos anzuschauen. Wenn ich zum Beispiel Bilder meiner Familie aus West-Berlin sehe, einem Ort, den es heute nicht mehr gibt, finde ich es super spannend zu erkennen, wie viel sich verändert hat. In dem Moment war es vielleicht nur ein belangloses Foto vor einem Schild oder der Mauer, weil niemand ahnen konnte, dass diese Ära enden würde. Jetzt sind es Erinnerungen an Orte oder politische Situationen, die heute nicht mehr existieren.
Dasselbe gilt für Fotos von Menschen, die nicht mehr leben. Da geht es ja nicht darum, ob es das perfekte, technisch makellose Bild ist, sondern darum, überhaupt eines zu haben.
Ich finde ein sehr gutes Beispiel dafür ist das Foto, das Annie Leibovitz von Yoko Ono und John Lennon gemacht hat. Sie fotografierte die beiden zuhause, sehr intim, für das Rolling Stone Magazine. Nur wenige Stunden später verließ Lennon die Wohnung und wurde vor dem Gebäude erschossen. Diese Aufnahmen wurden damit zu den letzten Fotos, die von ihnen zusammen existieren. Kontext.
"Mit „der Kontext ist manchmal wichtiger als das Bild selbst“ meine ich, dass viele bedeutende, historische wie auch private Fotos ihre eigentliche Kraft oft erst mit der Zeit entwickeln. Ich habe es schon immer geliebt, mir alte Fotos anzuschauen. Wenn ich zum Beispiel Bilder meiner Familie aus West-Berlin sehe, einem Ort, den es heute nicht mehr gibt, finde ich es super spannend zu erkennen, wie viel sich verändert hat."

Wie fühlst du dich, nachdem deine erste große Ausstellung “not yet” vorbei ist?
SE: Ich bin super happy und dankbar für jede einzelne Person, die gekommen ist. Am Ende ist alles sogar noch viel schöner geworden, als ich es mir vorgestellt hatte. Ein bisschen traurig bin ich nur darüber, dass die Ausstellung nur so kurz hängen konnte. Es war einfach zu schön, um sie so schnell wieder abzubauen. Aber der Raum wurde danach leider wieder anderweitig gebraucht.
Kannst du uns etwas zu dem Prozess der Ausstellung erzählen und wie das Ganze zu Stande kam?
SE: Die Idee für die Ausstellung kam mir eigentlich vor etwa zwei Monaten, weil ich ein Projekt haben wollte auf das ich hinarbeiten kann, da ich so viel unveröffentlichte Bilder hatte und eben immer auf diesen "richtigen Moment" gewartet habe. Mit meinem Kumpel Florin haben wir das Ganze dann langsam auf die Beine gestellt und ehrlicherweise war es viel mehr Arbeit als wir dachten - ohne ihn hätte ich das auf jeden Fall nicht geschafft so umzusetzen. Ich habe im Endeffekt auch alles selbst finanziert, ganz ohne Sponsoring und derartiges. Es war einfach sehr viel Schweiß, Arbeit und Eigenkosten aber wir sind sehr happy, was dabei rausgekommen ist.
Im Titel von “not yet” spielst du ja schon an, dass es manchmal schwierig ist etwas “fertiges” zu definieren, nachdem man sehr lange Zeit an Projekten hat und sich nicht sicher ist ob es gut genug ist zu zeigen - willst du aber in Zukunft wieder ausstellen oder vielleicht sogar mal eine (Print) Publikation veröffentlichen, jetzt nachdem die Ausstellung so schön und mehr als nur zeigenswert war?
SE: Ich möchte definitiv wieder ausstellen! Ich finde, das ist ja auch ein großer Teil vom Leben einer Fotografin. Man macht Fotos ja nicht, damit sie nur online existieren. Das große Ziel ist immer, denke ich, sie irgendwann physisch vor einem zu sehen. Ich würde auch super gerne etwas publizieren… but I am shy lol.
Mein Homie Rashidi pusht mich gerade, 2026 ein Buch rauszubringen, also nehme ich mir das auf jeden Fall als ein Ziel für nächstes Jahr vor.

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